Neulich mailte eine Firma: „Wir achten die Religionsfreiheit unserer Mitarbeiter. Bitte entfernen oder verhüllen Sie daher für unsere Veranstaltung alle religiösen Symbole!" Ich machte mir einen Film daraus: Es müssten nicht nur die schlichten Holzkreuze in den Räumen von der Wand genommen werden. Auch die Bronzestatue von Martin und dem Bettler im Innenhof wäre einzupacken – ein Fall für Christo? Und überhaupt: Das Martinushaus ist eine Einrichtung der katholischen Kirche – müssen wir das verstecken?
Ich mailte der Firma zurück: „Auch wir achten die Religionsfreiheit unserer Gäste. Wir tun dies allerdings auf dem Fundament unserer christlichen Überzeugung. Im Martinushaus werden Gastfreundschaft und Toleranz ganz groß geschrieben; wir engagieren uns im interkulturellen und interreligiösen Dialog. Wir glauben, dass wir wesentlich zum Gelingen des Dialogs beitragen, wenn wir unsere reflektierte religiöse Identität einbringen." Ich machte deutlich, dass wir unsere religiösen Symbole nicht verstecken. Die Firma ließ sich darauf ein und kam. Beim Feedback gab es Bestnoten für unsere Räume und unseren Service.
Am Ende war ich froh um diesen guten Prozess. Gleichzeitig macht mich die Bitte immer noch nachdenklich. Vor lauter Toleranz kann man leicht intolerant werden. Wird die Freiheit der Anderen wirklich schon dadurch eingeschränkt, dass ich meine Überzeugung zeige? Braucht Toleranz das Verbergen von Profilen oder offene Räume, in denen Menschen sich zeigen und so einander begegnen können?
Gewiss: Es gibt die herausgekehrte Überzeugung, die Angst macht. Es gibt religiöse Symbole, die beklemmen. Wem religiöse Symbole im öffentlichen Raum wichtig sind, muss bereit sein, sie und sich in Frage stellen zu lassen. Toleranz und Dialog brauchen Identität – aber eben: eine reflektierte Identität. Der jüdische Dichter Elazar Benyoëtz ermutigt in einem Gedicht, die eigenen scheinbar sicheren Antworten von außen anfragen zu lassen und dadurch zu gewinnen. Ich habe dieses Gedicht schon immer gemocht – seit der erzählten Erfahrung ist es mir ganz besonders wichtig geworden:
Was außer Frage steht,
kommt niemals in Betracht
Auf deine Frage gibt es nur deine Antwort: du
kennst sie auch, und doch musst du um sie bitten
In Frage gestellt,
lässt sich auch Gott
nicht verleugnen.
Dr. Hildegard Gosebrink, Rektorin des Martinushauses