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Chorgesang

Mit 150 Stundenkilometern gegen die Wand

Würzburg/Aschaffenburg (POW) Neun Kinder stehen im Pfarrheim im Aschaffenburger Stadtteil Leider (Pfarreiengemeinschaft „Am Schönbusch – Sankt Kilian – Sankt Laurentius, Aschaffenburg“) und strecken ihre Arme „ganz weit“ nach oben.

Mit einer leichten Bewegung nach links und rechts dehnen sie ihren seitlichen Brustkorb. Chorleiterin Christiane Michaeli macht die Laute „p, t, k“ vor und die Kinder wiederholen sie. So wird das Zwerchfell trainiert. Michaeli engagiert sich ehrenamtlich und leitet den Kinder- und Jugendchor. Mit dem bekannten Lied „Kumbaya, My Lord“ üben die Jugendlichen, zweistimmig zu singen. Dafür singt ein Teil des Chors die hohe Stimme und der andere Teil die tiefe Stimme. Danach probt der Chor für eine Aufführung des Musicals „Das Vier-Farben-Land“. Sie proben zunächst die einzelnen Lieder. „Mensch schau mal her, wie schnell die blöde alte Grenze verwischt“, singen die Kinder mit viel Elan. „Wer war so dumm und hat die ganze Zeit nicht einmal gemerkt, dass sie die Angst nur verstärkt?“

Die Kinder werden mit Verlauf der Chorprobe unbeschwerter. „Ich bin immer ziemlich erleichtert, weil ich von zu Hause wegkommen kann und vom ganzen Schulstress“, erklärt Emilia. Sie ist zwölf Jahre alt und singt bereits seit vier Jahren im Chor. Moritz spürt die Auswirkungen des Chorsingens ebenfalls: „Ein bisschen freier macht es und glücklich.“ Chorleiterin Michaeli stellt bei den Jugendlichen und Kindern Entwicklungen fest. „Am Anfang sind die Kinder oft etwas schüchtern und zurückhaltend. Am Ende des ersten Jahres tauen die meisten auf und trauen sich.“ Sophia sieht die Vorteile des Singens ebenfalls. „Man muss sich nicht so viel bewegen und hat auch viel Spaß“, erklärt die Zehnjährige.

Einmal die Woche probt der Jugendchor im Pfarrheim im Stadtteil Leider. Das war jedoch auf Grund der Coronapandemie lange nicht möglich. Mit verschiedenen Aktionen wie einem Videoprojekt hat Michaeli versucht, ihren Chor aktiv zu halten. Sie und die Jugendlichen haben das gemeinsame Singen vermisst, als Treffen in Innenräumen verboten wurden. Vor allem Chorproben standen unter dem Verdacht, die Ansteckung zu erleichtern. „Die Coronapandemie hat uns Chorleiter gegen die Wand fahren lassen“, erklärt Caroline Roth. Sie ist als Kantorin in Aschaffenburg tätig. „Stellen Sie sich vor, man fährt mit 150 auf der Autobahn und auf einmal geht es nicht weiter. Wir wurden komplett ausgebremst.“ Die Chorarbeit, die früher unkompliziert war, konnte nur unter schwierigen Bedingungen stattfinden und käme jetzt erst nach und nach wieder.

Für Chöre, die bereits eine kleine Mitgliederzahl hatten, sei die Pandemie schwer gewesen, weiß Anke Willwohl, Kirchenmusikerin in der Pfarrei Heiligkreuz in Würzburg. Nicht alle Chöre im Bistum Würzburg hätten überlebt. Die „ChoCo-Studie“ („Chormusik in Coronazeiten“) hat jeweils im Frühjahr 2021 und 2022 Chöre nach der aktuellen Lage befragt und wurde in der „neuen musikzeitung“ veröffentlicht. Sie zeigt: 2021 war ein Viertel der sonst aktiven Chormitglieder inaktiv. Bei Kinder- und Jugendchören sei die Fluktuationsrate generell höher. 2021 gaben 12,7 Prozent der Kinder- und Jugendchöre an, keine Mitglieder mehr zu haben. Das ist doppelt so viel wie bei den Erwachsenenchören. Willwohl geht deshalb in Schulen auf  Elternabende, um neue Mitglieder zu gewinnen. Sie sagt, dass sie auch jetzt noch die Folgen der Coronapandemie merke. „Zwei Jahre nicht proben, das heißt auch zwei Jahre, in denen die Kinder nur wenig dazulernen.“

Jetzt sind Chöre wieder auf der Suche nach Mitgliedern. Um Chöre in der Nähe zu finden, gibt es mehrere Möglichkeiten. Im Internet können sich Interessierte auf Webseiten von Pfarreien über musikalische Angebote informieren, erklärt Kirchenmusikerin Willwohl. Auf Konzerten könne man ebenfalls Kontakt zu einem Chor aufnehmen. Man könne aber auch mit Gleichgesinnten zusammen singen. „Zusammen musizieren kann man immer.“

Katrin Henn (POW)