Diese Logik fand ich zwar gut, aber nicht gut genug. So diskutierten wir über die religiöse Dimension des Fußballs: Tatsächlich staunt man ja, wie gerne und laut Menschen singen können, wenn sie nicht in der Kirche sondern im Stadion sitzen. Selbst rhythmisch begleitete Wechselgesänge, zumindest formell dem kirchlichen Introitus vergleichbar, sind in der Fußballarena kein Problem. Das gleichzeitige Aufstehen und Hinsetzen in den Rängen klappt hier wie dort. Es ist faszinierend zu sehen wie liturgiefähig doch Menschen sind. Auch religiöse Motive werden im Fußball übernommen: Man spricht von Fan-„Gemeinde", vom Team-„Geist" und von „Opfern", die gebracht werden müssen. Manchmal ist die „Hand Gottes" oder der „Fuß Gottes" im Spiel. Ab und zu wird sogar ein „Fußball-Gott" erkoren, jedoch nur so lange bis er müde wird und wieder abdämmert.
„Fußball war sein Leben", so sagen manchmal Hinterbliebene bei einem Trauergespräch: „Er hat sein ganzes Leben auf dem Fußballplatz verbracht".- „Na und", kommentierte einer der Schüler im Reli-Unterricht, als ich davon erzählte, „der hat dann wenigstens seinen Spaß gehabt!" – „Aber das Finale verloren!", konterte ich, „denn im Angesicht des Todes geht es um Sieg oder Niederlage über denselben. Da hilft kein Fußball-Gott, da hilft allein der Glaube an Jesus Christus". Denn wie hat Martin Luther gesagt: „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott".
Sehr beeindruckt hat mich bei dem Halbfinale am letzten Dienstag das Interview mit dem brasilianischen Torwart Júlio César kurz nach der für ihn entwürdigenden Niederlage von 7:1 Toren. Trotz des immensen Erwartungsdrucks durch die Fußballwelt und trotz der großen Enttäuschung hatte er die Größe, die Gewichtung der WM zurecht zu rücken: Offen bekannte er vor der Weltöffentlichkeit: „Ich danke Gott, dass ich an dieser Weltmeisterschaft teilnehmen durfte". Was für eine unkompliziert klare Einschätzung des Lebens nach einem so hitzigen Spiel mitten im WM–Fieber. Was für eine deutliche Aussage neben all den fachkundigen Spielanalysen und Diagnosen ...
In WM-Zeiten schaue ich gerne Fußball, denn Fußball ist eine sehr schöne Sache.
Existenziell gesehen aber trotzdem eine Nebensache, denn eine Fußballreligion trägt nicht durch's Leben und schon gar nicht durch zum Leben. Ich wünsche Ihnen ein spannendes Wochenende, und dass wir dieses vor allem aber jenes Finale gewinnen.
Pfarrer Bernd Töpfer, Marktheidenfeld