Sengai jedenfalls verlangte einen Bogen Papier und schrieb: „Vater stirbt, Sohn stirbt, Enkel stirbt.“
Der reiche Mann wurde ärgerlich. „Ich bat euch, etwas für das Glück meiner Familie zu schreiben! Warum macht Ihr solch einen Scherz?“
„Ich hatte nicht die Absicht, einen Scherz zu machen“, erklärte Sengai. „Wenn dein Sohn vor dir sterben würde, so würde dich das bekümmern. Wenn dein Enkel vor deinem Sohn sterben würde, so würde dies euch beiden das Herz brechen. Wenn aber deine Familie Generation auf Generation in der Reihenfolge dahinscheidet, die ich genannt habe, so ist das der natürliche Ablauf des Lebens. Das nenne ich Glück.“
Die Geschichte von Paul Reps mag beim ersten Lesen merkwürdig klingen und zunächst nicht recht schmecken. Aber trifft sie nicht ins Schwarze?
Es überrascht mich in Gesprächen immer neu, wie viele Menschen davon auf irgendeine Weise im Laufe ihres Lebens oder ganz aktuell betroffen sind: Dass ein Kind, ein Geschwister, ein Enkel von ihnen früh verstorben ist. Dass eine ältere Frau nach langen Jahrzehnten unter Tränen von einer Fehlgeburt erzählt und dass das ‚ein Leben lang‘ selbst in der eigenen Familie kein Thema war. Richtiger: Kein Thema sein durfte.
Wenn ein Kind stirbt – ganz gleich in welchem Abschnitt seines Lebens: ob noch vor der Geburt, bei oder gleich nach der Geburt, ob in jungen Jahren oder schon ‚im Erwachsenenalter‘; ganz gleich an was und wie lange es her ist – stellt das den natürlichen Lauf des Lebens unweigerlich auf den Kopf. Und geht nicht spur-los an den Betroffenen vorbei.
Wer diese Erfahrung schon machen musste, weiß, wie es sich anfühlt, wie tief und groß der Schmerz ist, welche Fragen sich stellen. Es muss sich niemand mit einem anderen vergleichen, ob sein Schicksal schlimmer oder eben doch nicht so schlimm ist wie bei einem anderen. Jeder Schmerz wird ganz persönlich empfunden und ist nicht auf einer Tabelle nach seiner Schwere einzuordnen.
Seit inzwischen vielen Jahren werden betroffene Eltern, Geschwister, nahe und fernere Angehörigen und Freunde jeweils am zweiten Sonntag im Dezember eingeladen, z.B. im Rahmen eines (ökumenischen) Gottesdienstes einen Raum zum Trauern und zum bewussten Gedenken zu eröffnen. Das tun an diesem Tag viele in unbekannter Verbundenheit rund um den Globus.
Z.B. auch bei uns am:
Freitag, 22.11., 18:30 Uhr, Ev. Kirche St. Markus, Kleinostheim
Sonntag, 08.12., 19:00 Uhr, Ev. Friedenskirche Marktheidenfeld
In dieser spürbaren Solidarität zu trauern und zu gedenken fällt leichter, weil man weiß, dass die Menschen, die sich versammeln, geeint werden durch diese ‚un-natürliche‘ Erfahrung des Todes eines Kindes. Sie fühlen sich ohne große Worte verstanden und geborgen.
Wenn Sie selbst nicht unmittelbar davon betroffen sind, aber solche Menschen kennen, dann laden Sie dazu doch herzlich ein. Die Sorge, ob ich andere ‚so einfach‘ darauf ansprechen kann, ist unbegründet. Wer es tut, bringt damit ja auch zum Ausdruck, dass er/sie Anteil nimmt. Und das tut manchmal einfach nur gut...
Reinhold Grimm, Pastoralreferent, Marktheidenfeld